Jugendschutz: Läutet das OLG Frankfurt das Ende des „Spezialversands“ ein?

Filme und Videospiele ohne Jugendfreigabe („USK 18“) dürfen im Versandhandel nur vertrieben werden, wenn durch geeignete Maßnahmen sichergestellt wird, dass kein Versand an Kinder oder Jugendliche erfolgt. Um das zu gewährleisten, setzen Händler meist auf Versandmethoden, bei denen der Zusteller der Lieferung gleich Identität und Alter des Bestellers prüft – oft als „Spezialversand“ bezeichnet.

Nach einer neuen Entscheidung des OLG Frankfurt soll das aber zumindest in manchen Fällen nicht ausreichen. Die Ausführungen des Gerichts bergen einigen Sprengstoff, lassen sie doch auch jenseits der entschiedenen Fallkonstellation eine gehörige Portion Skepsis gegenüber dieser Versandmethode durchscheinen. Und auch ansonsten bietet das Urteil jugendschutzrechtlich und jugendschutzpraktisch einigen Diskussionsstoff.

Was war passiert?

Die Parteien des vom OLG Frankfurt mit Urteil vom 07.08.2014 (Az. 6 U 54/14) (Volltext) entschiedenen Rechtsstreits handelten jeweils auf einer Handelsplattform mit Filmen und Videospielen.

Eine der Parteien (im Folgenden: Antragsteller) bestellte unter seinem Benutzernamen – einer von seiner Firma abgeleiteten Fantasiebezeichnung – bei der anderen Partei (im Folgenden: Antragsgegner) eine Film-DVD mit einer FSK-Freigabe ab 12 Jahren. Allerdings war entgegen der Vorschrift des § 12 Abs. 2 JuSchG weder auf dem Cover noch auf der Cellophan-Umverpackung das entsprechende Alterskennzeichen angebracht.

Daraufhin bestellte der Antragsteller abermals unter seinem Benutzernamen beim Antragsgegner ein Videospiel ohne Jugendfreigabe („USK 18“).

Die Versand- und Rechnungsadresse lauteten auf die Geschäftsräume des Antragstellers, wobei als Name des Bestellers lediglich der Benutzername mit der Fantasiebezeichnung angegeben war. Die Sendung wurde in der Folge ohne weitere Alterskontrolle an einen Mitarbeiter des Antragstellers übergeben.

Auf Antrag des Antragstellers hat das Landgericht Frankfurt in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes dem Antragsgegner daraufhin verboten

  1. Filme oder Videospiele ohne Alterskennzeichnung (FSK-/USK-Kennzeichen) zu versenden und
  2. Filme und Spiele ohne Jugendfreigabe ohne technische oder sonstigen Kontrollmöglichkeiten hinsichtlich des Alters des Empfängers auszuliefern.

Hiergegen hat der Antragsgegner zunächst erfolglos Widerspruch und sodann Berufung eingelegt, die jedoch ebenfalls ohne Erfolg blieb.

Reicht ein Sticker auf der Folie?

Das OLG Frankfurt hat zunächst wenig überraschend festgestellt, dass der Antragsteller einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch hinsichtlich des Versands von Filmen und Videospielen durch den Antragsgegner hat, soweit diese nicht auf der Vorderseite der Hülle eine entsprechende Alterskennzeichnung aufweisen.

Dem Antrag des Antragstellers entsprechend musste das OLG Frankfurt hierbei leider die spannende Frage offen lassen, ob mit der Vorderseite der „Hülle“ tatsächlich das Cover der DVD-Box gemeint ist oder nur die umgebende Folie, die vor dem ersten Gebrauch entfernt wird. Zumindest dem Antragsteller in diesem Fall reichte auch eine Alterskennzeichnung auf der Cellophanfolie. In der Jugendschutzpraxis ist das aber alles andere als eindeutig. Nach Ansicht der für den Spielebereich federführenden Obersten Landesjugendbehörde des Landes Nordrhein-Westfalen reicht ein Sticker auf der Folie grundsätzlich gerade nicht aus, wohingegen die Oberste Landesjugendbehörde von Rheinland-Pfalz, federführend für Bildträger mit Filmen, dies jedenfalls bei bestimmten Spezialverpackungen ausreichen lässt.

Spezialversand in seiner jetzigen Form nicht ausreichend?

Beachtenswert sind jedoch die weiteren Ausführungen des Gerichts. Es betont, dass ein Versand von Medien ohne Jugendfreigabe nur unter der Prämisse zulässig ist, dass ein funktionierendes System zur Einhaltung des Jugendschutzes eingerichtet ist. Der „Spezialversand“ sei dazu aber jedenfalls nicht in allen Fällen ausreichend:

Trotz „Spezialversand für Artikel ohne Jugendfreigabe“ liegt nach Ansicht des Gerichts ein Verstoß gegen das Jugendschutzgesetz und damit ein Wettbewerbsverstoß vor, wenn der Versand auf eine Bestellung hin erfolgt, die unter einer Phantasiebezeichnung (beispielsweise dem Fantasie-Benutzernamen des Bestellers) aufgegeben wird. In diesem Fall, so die Richter, sei die eigentlich vorgesehene Kontrolle durch den Postzusteller nicht möglich.

Nach den mehr als deutlichen Angaben auf Plattformen, die einen solchen Spezialversand einsetzen, darf ein Zusteller das Paket freilich nur an eine Person aushändigen, die sich als volljährig ausweist und deren Name ganz genau dem bei der Bestellung angegebenen Namen entspricht. Wird eine solche Person nicht angetroffen, muss der Zusteller das Paket wieder mitnehmen.

Dem OLG Frankfurt ist das allerdings nicht genug. Auf den Zusteller, so das Gericht, dürfen sich Händler und Handelsplattformen nicht verlassen. Vielmehr müssen sie nach dieser Entscheidung sicherstellen, dass ein Paket gar nicht erst auf den Weg gebracht wird, wenn wegen der Phantasiebezeichnung des Bestellers eine Identitäts- und Alterskontrolle von vorne herein ausscheidet.

Kritik

Das OLG Frankfurt hat den Spezialversand ausdrücklich nur in der entschiedenen Konstellation beanstandet. Die Begründung überzeugt aber nicht und hätte, konsequent zu Ende gedacht, Auswirkungen die auch das Gericht gerade nicht zu wollen scheint.

Braucht es ein „Altersverifikationssystem“?

In der Begründung geht begrifflich einiges durcheinander. Das Gericht meint, dass vor dem Versand von USK-18-Waren die Volljährigkeit des Bestellers mit einem Altersverifikationssystem geprüft werden muss. Dieser Begriff wird normalweise nur im Zusammenhang mit geschlossenen Benutzergruppen nach § 4 Abs. 2 S. 2 JMStV benutzt und bezeichnet besonders aufwändige Kontrollsysteme, die zur rechtskonformen Zugänglichmachung bestimmter indizierter Inhalte verwendet werden. Für Inhalte mit einer USK-Freigabe wird es nicht benötigt.

In der Folge stellt das Gericht dann auf das „Einschreiben eigenhändig“ als zulässige Versandmethode ab – dabei ist der entscheidungsgegenständliche „Spezialversand“ sogar viel mehr, nämlich eine zuverlässige face-to-face Identifizierung der Person, der das Paket ausgehändigt wird.

Zu kurz gedacht, zu weit gegangen

Klar: Im vorliegenden Fall hat das System nicht funktioniert, weil der Zusteller die vorgeschriebene Alters- und Identitätskontrolle nicht durchgeführt hat. Von diesem Einzelfall auf eine allgemeine Praxis oder gar die Unmöglichkeit regelkonformen Verhaltens zu schließen, geht aber zu weit. Wenn der Besteller nämlich einen Fantasienamen angibt, ist die Identitätsprüfung entgegen der Ansicht des Gerichts nicht unmöglich, sondern im Gegenteil besonders leicht. Die Diskrepanz zwischen Bestellername und Personalausweis des Mitarbeiters dürfte in so einem Fall auch für einen unerfahrenen Zusteller unter Zeitdruck völlig offensichtlich sein.

Wenn das Gericht aber schon diese Leistung dem Zusteller nicht zutraut, dann müsste das eigentlich um so mehr für den Normalfall gelten. Streng genommen darf der Zusteller im Rahmen des Spezialversands nämlich beispielsweise ein Paket an „Herbert A. Mustermann“ schon dann nicht aushändigen, wenn sich ihm gegenüber ein „Herbert Andreas Mustermann“ ausweist. Dass dieser feine Unterschied im Einzelfall von einem jugendschutzrechlichen Laien auch einmal übersehen werden könnte, erscheint viel eher plausibel (und womöglich entschuld- und hinnehmbar).

Es ist daher auch begrüßenswert, dass das Gericht wenigstens die gewollte Beschränkung der Entscheidung auf den Sonderfall „Bestellung unter Fantasienamen“ deutlich zum Ausdruck bringt.

Wirtschaftliche Auswirkungen

Es bleibt die Erwägung, dass es sinnlos ist, ein Paket auf den Weg zu bringen, von dem von vorne herein feststeht, dass es dem aufgedruckten Adressaten nicht ausgehändigt werden darf (weil die Identitäts- und Alterskontrolle immer scheitern muss). Die damit möglicherweise verbundene Verschwendung von Ressourcen ist für das Jugendschutzrecht indes irrelevant.

Folgt man der Ansicht des OLG, müsste nunmehr dennoch sichergestellt werden, dass Bestellungen von Medien ohne Jugendfreigabe ausschließlich von natürlichen Personen aufgegeben werden können. Dies ist extrem aufwendig – es müsste dann vor dem Versand manuell geprüft werden, ob der Besteller einen Fantasienamen angegeben hat, um ggf. ein Paket auszusortieren. Dieser Arbeitsschritt würde beim Händler erhebliche zusätzliche Kosten auslösen, die sicher auf alle Spezialversand-Kunden umgelegt würden. Die Kosten für eine unnötige „Paket-Rundreise“ wegen Fantasienamens dagegen würde nur der betroffene Besteller tragen, der aber schließlich auch die Angabe des Fantasienamens zu verantworten hat.

Wertungswidersprüche

Sollte sich die Ansicht des OLG Frankfurt durchsetzen, könnte dies dem bisher gut funktionierenden System des Spezialversands die wirtschaftliche Grundlage entziehen. Der gerichtlich geforderte erhebliche Mehraufwand zur geringfügigen Erhöhung des Schutzniveaus erscheint umso bedenklicher, wenn man sich vor Augen hält, dass ein Zugänglichmachen der gleichen Inhalte im Online-Bereich unter viel einfacheren Voraussetzungen möglich ist – ausreichend wäre hier, dass Kinder und Jugendliche diese „üblicherweise“ nicht wahrnehmen, wofür auch die Kennzeichnung für ein anerkanntes Jugendschutzprogramm genügt.

Entsprechend bleibt abzuwarten, wie sich weitere Gerichte zu dieser Frage äußern. Wir werden berichten.

Wir danken Rechtsreferendar Fabian Neumann für die Mitarbeit an diesem Beitrag.


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