Jugendschutz und Computerspielsucht: Südkorea sperrt Gamer aus, Deutschland „versachlicht“ die Debatte

Qualität gegen Quantität: In Südkorea soll die Begrenzung von Spielzeiten den Jugendschutz voranbringen. In Deutschland wird dagegen mehr auf die konsumierten Inhalte geachtet.

(Nicht mehr) Spielen bis zum Kollaps

Seit Jahren berichteten Medien über bis zum Kollaps erschöpfte Computerspieler, die durch ihr exzessives Spielverhalten nicht nur ihr virtuelles Leben aufs Spiel setzten. Gerade in Südkorea scheint das exzessive, oft nächtelange Spiel insbesondere unter Schülern ein Massenphänomen zu sein, das die Leistungsfähigkeit massiv beeinträchtigt.

Dieses Spielverhalten junger Gamer will Südkorea jetzt mit einem drastischen Mittel eindämmen: Nach einer im November 2011 in Kraft getretenen Regelung werden Jugendliche unter 16 Jahren zwischen 24 und 6 Uhr von Onlinespielen auf PC oder Spielkonsole durch ein Cut-Off-System ausgeschlossen. Aber damit nicht genug: Weitere Sperrstunden sollen unter 18-Jährige bzw. deren Eltern auf Grundlage einer weiteren Regelung, die am 22. Juli 2012 in Kraft treten soll, zusätzlich einrichten können.

Sogar noch weiter ging der Entwurf einer so genannten „Cooling-Off“-Regelung, mit der es Teenagern verboten werden können soll, mehr als zwei Stunden an einem Stück bzw. mehr als insgesamt vier Stunden am Tag zu spielen. Für diese massiven Eingriffe fand sich in der südkoreanische Nationalversammlung dann aber doch keine Mehrheit.

Um die Aussperrung der Spieler effektiv durchsetzen zu können, müssen sich koreanische Spieler jedoch mit der ihnen zur Verfügung stehenden Sozialversicherungsnummer anmelden. Hierdurch kann der Provider wiederum das Geburtsdatum dem jeweiligen Spieler vor Spielstart und jeder inhaltlichen Änderung eindeutig zuordnen und somit das Alter des Nutzers abgleichen. Eltern minderjähriger Kinder müssen zudem per E-Mail ihre Einwilligung erteilen, falls ihre Kinder sich für ein Spiel anmelden möchten. In der Praxis scheint die Aussperrung bisher allerdings nur begrenzt zu funktionieren.

Computerspielsucht in Deutschland: Ein überschätztes Problem

Aber auch hierzulande verzweifeln viele Lehrer und Eltern an der ungezügelten Onlinespielfreude vieler Jugendlicher. Wie jedoch eine im Auftrag der Landesanstalt für Medien (LfM) NRW durch Sozialforscher durchgeführte und jüngst veröffentlichte Studie verlauten ließ, gibt es zumindest aus deutscher Sicht Entwarnung. Weniger als 1,5% der aktiven Computerspieler seien suchtgefährdet oder süchtig.

Hierzu wurden im Rahmen der vom renommierten Hamburger Hans-Bredow-Institut für Medienforschung in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Köln durchgeführte Untersuchung 600 Computerspieler ab 14 Jahren repräsentativ befragt. Mit 40 Gamern wurden darüber hinaus intensive Einzelinterviews mit Experten und Suchtberatern geführt. Ergebnis: Exzessives Spielen und Spielsucht kann nicht als ein Massenphänomen bezeichnet werden.

Jedoch sollen damit die Gefahren von PC-Spielen keinesfalls verharmlos werden. Vielmehr sorgt die Studie laut LfM NRW „für eine dringend nötige Versachlichung der Debatte“. Die Studie zeigt, dass 98,6 % der Computerspieler über ein unauffälliges Spielverhalten verfügen und nur 0,9% als gefährdet eingestuft werden sowie nur 0,5 % als bereits „abhängig“ einzustufen sind. In dem Zusammehang stellten die Sozialforscher heraus, dass die „Computerspielabhängigkeit“ nicht als Diagnose im Sinne eines „klinischen Störungsbildes“ anzusehen sei. Der exzessive bedenkliche Computerspielkonsum hierzulande hätte jedoch auch immer mit dem Kontext mit der persönlichen Lebenssituation, der Persönlichkeit und dem sozialen Hintergrund zu tun. Aus diesem Grunde seien insbesondere Jugendliche ohne stabiles soziales Umfeld besonders gefährdet, die sich dann beispielsweise Ablenkung oder Kompensation für realweltliche Misserfolge in der digitalen Welt suchten (hier gibt es die Langzusammenfassung der Studie).

Kulturelle Unterschiede im Jugendschutz

Im Gegensatz zu Südkorea liegt hierzulande aber der Fokus des Jugendmedienschutzes weniger auf der exzessiven Nutzung von Computerspielen als in der Beschränkung der Verbreitung von jugendgefährdenden Inhalten: Für die Beurteilung einer Jugendgefährdung etwa muss das (angebliche) Suchtpotential eines Computerspiels außer Betracht bleiben, was die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien in ihren Entscheidungen auch regelmäßig ausdrücklich festhält. Und die auf den ersten Blick mit der koreanischen Regelung vergleichbaren Sendezeitbeschränkungen des JMStV dienen der vollständigen Verhinderung, nicht der zeitlichen Beschränkung des Zugriffs Jugendlicher auf (für sie ungeeignete) Medieninhalte.

Nicht verschwiegen werden soll aber, dass auch in Südkorea seit einiger Zeit ein System zum Schutz vor inhaltlich jugendgefährdenden Medien existiert. Seit Oktober 2006 arbeitet nämlich eine von der Regierung geleitete und aus Wissenschaftlern, Anwälten, Mitgliedern von NGOs und Vollzeittestern bestehende Bewertungskommission – das Game Rating Board, das in seiner Funktion einer Art Zwitter von BPjM und USK entspricht: Es vergibt (oder verweigert) verbindliche Alterskennzeichen, und Spiele ohne Kennzeichen dürfen überhaupt nicht vermarktet werden.

Wir danken unserem wissenschaftlichen Mitarbeiter Istvan Fancsik für die Mitarbeit an diesem Beitrag.


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Kommentare

2 Antworten zu „Jugendschutz und Computerspielsucht: Südkorea sperrt Gamer aus, Deutschland „versachlicht“ die Debatte“

  1. Avatar von Lorenz

    Ich suche eine Computerspielsucht-Selbsthilfegruppe die nach dem Konzept von P. Jedlickas Buch „Computerspielsucht-Therapie“ arbeitet.

    Lorenz

  2. Avatar von Konstantin Ewald
    Konstantin Ewald

    Sorry, da können wir nicht helfen. Vielleicht unsere Leser?

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