Hin und her um den Auskunftsanspruch nach § 101 Abs. 9 UrhG

Bei der Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen in so genannten „Tauschbörsen“ stehen Rechteinhaber vor dem Problem, dass sie selbst nur die IP-Adresse feststellen können, von der aus das geschützte Material ins Internet gestellt wird. Wem diese Adresse zugeordnet ist, können sie nur von dem jeweiligen Internetprovider erfahren. Früher musste dazu Strafanzeige erstattet werden, denn nur die Ermittlungsbehörden konnten auf diese Informationen zugreifen.

Der im Jahr 2008 eingeführte urheberrechtliche Auskunftsanspruch gegen die Provider (gem. § 101 Abs. 9 UrhG) kann vom Rechteinhaber direkt geltend gemacht werden. Ein Auskunftsantrag kann viele hundert IP-Adressen enthalten, es muss nicht mehr für jeden mutmaßlichen Verletzer ein eigener Antrag gestellt werden. Dies erleichtert die zivilrechtliche Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen im Internet und entlastet gleichzeitig die Staatsanwaltschaften, die nun nicht mehr massenhaft Verbindungsdaten in Verfahren abfragen müssen, die sie anschließend sowieso einstellen.

Notiz am Rande: Nicht immer bekamen die Inhaber der Verwertungsrechte allerdings die begehrte Einsicht in die Ermittlungsakte, wie eine Entscheidung des LG München I aus dem Jahr 2008 (Beschluss vom 12.03.2008, Az.: 5 Qs 19/08 – Volltext) illustriert.

Die Rechtsprechung zu den Voraussetzungen des § 101 Abs. 9 UrhG, insbesondere zum Begriff des „gewerblichen Ausmaßes“, ist indes keineswegs einheitlich. Das mag damit zu tun haben, dass es einem natürlichen Sprachgefühl in gewisser Weise widerstrebt, bei augenscheinlich privaten Rechtsverletzern mit dem Begriff „gewerblich“ zu operieren – obwohl bei näherer Betrachtung damit ja nur die Intensität der Verletzung, nämlich das „Ausmaß“ näher charakterisiert wird.

Ab wann ist das Ausmaß gewerblich?

In Köln wird mit dem Begriff der „relevanten Auswertungsphase“ gearbeitet – ist diese für ein Werk abgelaufen, soll das Zugänglichmachen über eine „Tauschbörse“ kein gewerbliches Ausmaß mehr erreichen. Das LG Köln hatte in einer etwas älteren Entscheidung zu einem Computerspiel zur Bestimmung dieser Phase noch das etwas unscharfe Kriterium herangezogen, dass das Spiel noch zu einem „üblichen Verkaufspreis“ angeboten wird.

Nach Auffassung des OLG Köln (Beschluss vom 27.12.2010, Az.: 6 W 155/10 – Volltext) soll die Auswertungsphase dagegen – jedenfalls bei Filmen – grundsätzlich 6 Monate betragen. Allerdings soll sich diese Phase verlängern, wenn der Film mit einem Oscar ausgezeichnet wird (OLG Köln, Beschluss vom 05.05.2011, Az.: 6 W 91/11 – Volltext). Diesen Gedanken wird man für ähnliche die Verwertbarkeit beeinflussende äußere Ereignisse ebenfalls fruchtbar machen können. Es genügt hier der Verweis auf die Verkaufszahlen alter Alben von Michael Jackson nach dessen plötzlichem Tod – Ähnliches könnte für Werke von Amy Winehouse gelten.

Das LG München I hat zuletzt mit einem anderen Ansatz operiert und auf die Qualität des zugänglich gemachten Werkes abgestellt. Der Beschluss vom 12.07.2011 (Az.: 7 O 1310/11 – noch nicht veröffentlicht) argumentiert, wer ein Werk in „uneingeschränkter“ digitaler Qualität bereitstelle, handele wie ein gewerblicher On-demand-Anbieter und damit in gewerblichem Ausmaß.

Beide Ansätze zur Einschränkung des Auskunftsanspruchs sind aber in der Praxis schwer zu handhaben, da präzise Kriterien insbesondere zur Beurteilung der Qualität (ab wann ist sie nicht mehr „uneingeschränkt“?) fehlen. Auch die Grenze von 6 Monaten für die „relevante Auswertungsphase“ erscheint willkürlich.

„Tauschbörse“ = stets genug für den Auskunftsanspruch?

Dies hat nunmehr auch das OLG München erkannt (Beschluss vom 26.07.2011, Az.: 29 W 1268/11 – Volltext) und verzichtet auf beide Einschränkungen. Bei der Zugänglichmachung eines urheberrechtlich geschützten Werkes in einer sog. „Tauschbörse“ sei grundsätzlich ohne weitere Umstände von einer Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß auszugehen. Denn zum Einen begebe sich der Einsteller jeder Kontrolle über das Werk, so dass eine unbegrenzte Vielzahl an weiteren Nutzern hierauf Zugriff habe, und zum Anderen – und das ist aus unserer Sicht das bessere Argument – handele der Nutzer der „Tauschbörse“ nicht altruistisch, da die Bereitstellung des Werkes im „Tausch“ gegen den kostenlosen Zugriff auf andere geschützte Werke erfolge. Eine Einschränkung auf eine relevante Auswertungsphase entnimmt das OLG München weder dem deutschen UrhG noch der Durchsetzungsrichtlinie auf der es insoweit beruht. Zu Recht weist es auch darauf hin, dass ältere Werke zwar ggf. zu sehr geringen Preisen verkauft, aber kaum jemals gänzlich kostenlos bereitgestellt werden, so dass eine Auswertung weiterhin stattfindet.

Das OLG München positioniert sich damit urheberfreundlicher als das OLG Köln. Anders als bei der Verfolgung der Verstöße selbst hat der Urheber allerdings hier kein Wahlrecht, welches Gericht er anruft. Zuständig ist vielmehr das Gericht am Sitz des Telekommunikationsunternehmens, von dem die Auskunft über die IP-Adresse begehrt wird. Da die Zuständigkeit für Urheberrechtssachen im gesamten OLG-Bezirk Köln beim LG Köln liegt (vgl. § 105 Abs. 1 UrhG und § 1 der KonzentrationsVO), müssen auch Auskunftsanträge gegen die Telekom (mit Sitz in Bonn) stets dort gestellt werden.


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Kommentare

4 Antworten zu „Hin und her um den Auskunftsanspruch nach § 101 Abs. 9 UrhG“

  1. Avatar von Sebastian
    Sebastian

    Also ich weiss nicht, aber das Argument mit dem „im Tausch gegen ein anderes Werk“ überzeugt mich nicht. Das mag zwar in der Regel so sein, zwingend ist es aber nicht. Wenn ich mein Auto verkaufe, mache ich das in erster Linie um das geld zu bekommen. In zweiter Linie dann, um mir mit dem Geld etwas Neues zu kaufen.

    Wenn ein User eine Datei „tauscht“, dann heisst das eben nicht zwangsläufig, dass er auch andere Werke tauscht.

  2. Avatar von Felix Hilgert
    Felix Hilgert

    In den „Tauschbörsen“ wird man in der Tat kaum sagen können, dass Dateien wie Fußballsticker 1:1 getauscht werden. Natürlich lädt nicht zwingend immer der A eine Datei von B, während der B eine Datei von A lädt. Aber in der Grundkonfiguration der meisten Clients ist angelegt, dass man eine Datei schon während des Downloads auch wieder öffentlich zugänglich macht. Selbst wenn man also dem „Tauschbörsen“-Client den Zugriff auf den eigentlichen Musik- oder Filmeordner gar nicht erlaubt, erkauft man sich in gewisser Weise den im Übrigen kostenlosen Zugriff auf fremde Dateien, indem man durch die Teilnahme an dem System selbst anderen Leuten ebenfalls Zugriff gewährt. Man „tauscht“ also schon zwangsläufig – nicht zwingend andere Werke, aber das eine Werk schon.

  3. Avatar von Sebastian
    Sebastian

    Tja, da habe ich mich wohl von der Formulierung „andere Werke“ verwirren lassen.

    Der Urteilstext spricht ja nicht explizit von „anderen Werken, sondern allgemeiner von Werken.

    Bedeutet also, wenn ein User Werk A gleichzeitig down-/uploaded, so ist dies gewerblich, weil er sich damit die Aufwendungen für Werk A espart.

    Das Argument ist für mich nachvollziehbar, verträgt sich aber mMn nicht unbedingt mit der Gesetzebegründung.

  4. Avatar von Felix Hilgert
    Felix Hilgert

    Wieso eigentlich nicht? Laut der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (BT-Drs. 16/8783, S. 50) „zeichnen sich in gewerblichem Ausmaß vorgenommene Rechtsverletzungen dadurch aus, dass sie zwecks Erlangung eines unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftlichen oder kommerziellen Vorteils vorgenommen werden. Handlungen, die in gutem Glauben von Endverbrauchern vorgenommen werden, sind hiernach in der Regel nicht erfasst.“

    Guter Glaube scheidet in den „Tauschboersen“ offensichtlich aus. Und aus der Bereitstellung seines Computers und seiner Internetverbindung fuer den „Tauschboersen“-Client erzielt der Nutzer den mindestens mittelbaren wirtschaftlichen Vorteil des Downloads eines geschuetzten Werkes.

    [update: Voellig richtiger Hinweis uebrigens re „andere Werke“ – redaktioneller Fehler meinerseits, ist im Beitrag korrigiert]

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