In einer wohl beispiellosen Aktion haben heute die Landesparlamente von Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein die geplanten Änderungen zum Jugendmedienschutzstaatsvertrag (JMStV) kurz vor dem für den 1.1.2011 geplanten Inkrafttreten gestoppt und damit die intensiv diskutierte Online-Jugendschutzreform scheitern lassen. Während in NRW das Landesparlament geschlossen gegen den neuen JMStV stimmte, versuchte sich Schleswig Holstein im Windschatten von NRW dadurch zu profilieren, dass man heute verkündete, den JMStV nicht länger parlamentarisch behandeln zu wollen.
Diese Entwicklung ist das i-Tüpfelchen auf eine absurd anmutende politische Diskussion: Schon vor der Entscheidung in NRW hatten sich einige Landtagsfraktionen in teilweise donnernden Pressemitteilungen gegen den neuen JMStV ausgesprochen, im selben Moment jedoch aus politischer Rücksichtnahme für dessen Unterzeichnung gestimmt. In NRW hatte der damals amtierende Ministerpräsident Rüttgers den neuen JMStV bereits am 10.6.2010 unterzeichnet. Gleichwohl entschloss sich die CDU-Landtagsfraktion nun einen Tag vor der Abstimmung zur Ablehnung des neuen JMStV. Die anderen Fraktionen folgten plötzlich der ablehnenden Haltung. Und da dann einmal der Anfang gemacht war entschieden sich nun auch die Fraktionen von CDU und FDP im schleswig-holsteinischen Landtag, den JMStV nicht länger diskutieren zu wollen und von der heute anstehenden parlamentarischen Tagesordnung zu nehmen. Auch dies bedeutet ein faktisches Nein zum neuen JMStV.
Damit bleibt es einstweilen bei den bestehenden Jugendschutzregelungen. Die unterscheiden sich von dem jetzt gekippten Staatsvertrag übrigens in vielerlei Hinsicht nicht so deutlich, wie aus dem Lager der Vertrags-Gegner in den letzten Wochen und Monaten häufig zu lesen war. Die Pflicht für bestimmte gewerbliche Anbieter, einen Jugendschutzbeauftragten zu bestellen, gibt es zum Beispiel bereits seit 2003. Neu wäre nur die Verpflichtung gewesen, diesen Beauftragten im (ebenfalls ohnehin vorgeschriebenen) Impressum des Angebots zu nennen. Auch bestand bereits nach dem alten JMStV für Anbieter die Pflicht, sich Gedanken über die Alterseinstufung ihrer Inhalte zu machen und entsprechende technische oder organisatorische Maßnahmen zu ergreifen.
Wie es konkret in dem Gesetzgebungsverfahren weiter gehen soll, bleibt zum heutigen Zeitpunkt unklar.
Aus unserer Sicht (update: mit der wir nicht allein sind) wurde dem Online-Jugendschutz damit ein Bärendienst erwiesen. Der reformierte JMStV bedeutete ein Bekenntnis zum und eine Stärkung des Prinzips der regulierten Selbst-Regulierung. Erste – jedenfalls aus rechtlicher Sicht neuerlich absurd anmutende – Stellungnahmen zum Scheitern des JMStV lassen befürchten, dass mit den nun notwendigen neuen politischen Debatten über den JMStV auch dieses gut funktionierende Grundprinzip in Frage gestellt werden könnte und stattdessen ein Mehr an staatlicher Regulierung Einzug in den Jugendschutz halten könnte.
Jenseits dieses sehr fundamentalen Punktes bedeutet die Ablehnung des JMStV vor allem aber auch ein Scheitern der Option zur eigenverantwortlichen Alterskennzeichnung durch die Contentanbieter. Hierbei handelte es um die aus unserer Sicht wesentliche Neuerung im System des Online-Jugendschutzes. Waren Online-Anbieter bislang gezwungen zwischen den beiden in der Praxis wenig praktikablen Alternativen ‚Sendezeitbeschränkung‘ oder‘ technische Zugangsbarriere‘ zu wählen, hätten sie mit dem System der Alterskennzeichnung nun ein neues für die Online-Welt zeitgemäßes Tool zur Realisierung des Jugendschutzes zur Verfügung gestellt bekommen.
Wir stimmen der vielfach geäußerten Kritik, dass der neue JMStV handwerklich schlecht gemacht war und viele Fragen leider offen ließ, ausdrücklich zu. Im Sinne eines effizienten und vor allem praktikablen Online-Jugendschutzes wäre es jedoch aus unserer Sicht ratsam gewesen, den JMStV zum 1.1.2011 in Kraft treten zu lassen, um ihn sodann weiter zu debattieren und weiter zu entwickeln anstelle den JMStV vollständig scheitern zu lassen. Zeit zur Debatte bestand schließlich genug.
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