Jugendschutzreform: Der Tanz geht weiter…

Der Reformprozess im Jugendschutzrecht bleibt spannend: Sowohl vom Bund als auch von den Ländern gab es in den vergangenen Tagen neue Vorschläge. Während der Bund in seinem nun zum Referentenentwurf gewordenen Gesetzestext einige wenige der zahlreich geäußerten Kritikpunkte am Ursprungsentwurf aufgreift, haben die Länder Teile des JuSchG-Entwurf in einen neuen JMStV-Entwurf hinüberkopiert und wollen zudem Anbieter von Betriebssystemen zum Einbau technischer Jugendschutzfilter zwingen. Wir geben einen ersten kritischen Überblick über die neuen Vorschläge.

JuSchG: Das Herkunftslandprinzip und die Rückkehr der Jugendschutzbeauftragten

Der Entwurf [Volltext] enthält Änderungen insbesondere bei §§ 14a, 24a JuSchG-E zu Kennzeichnungs- und weiteren Vorsorgepflichten von Plattformen. In beiden Vorschriften wird nun ausdrücklich klargestellt, dass sie auch für Anbieter mit Sitz im Ausland gelten, aber die Bestimmungen des Telemediengesetzes zum Herkunftslandprinzip unberührt bleiben. Damit reagiert der Bund wohl auch auf die Bemerkungen der EU im Rahmen der Notifizierung des Medienstaatsvertrags – die Kommission hatte hier erneut die Beachtung des Herkunftslandprinzips angemahnt. Plattformen aus dem EU-Ausland dürften damit aber aus dem Anwendungsbereich der Vorschriften herausfallen. Zudem wirft die mehrfache Klarstellung die Frage auf, ob im Umkehrschluss der Rest des JuSchG, einschließlich etwa der Pflicht zur Benennung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten, dann für Anbieter im Ausland nicht gelten soll…

Verschlimmbessert wurde die Regelung zur Alterskennzeichnung auf Plattformen in § 14a JuSchG-E. Zwar sollen nun (entgegen dem ursprünglichen Entwurf) auch Jugendschutzbeauftragte der Anbieter weiterhin Alterseinstufungen vornehmen können – allerdings nur wenn sie von einer Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle zertifiziert wurden, was bislang nicht erforderlich war. Hier schafft der Entwurf zusätzliche Bürokratie und Unklarheit, denn wie diese Zertifizierung aussehen soll, ist unklar. Zudem soll die Kennzeichnung durch ein automatisches System nach diesem Entwurf subsidiär nur dann greifen, wenn eine anderweitige Kennzeichnung nicht vorliegt. Das verkennt die Wirkungsweise von Systemen wie IARC, die plattformbezogen, aber eben auch plattformweit eingesetzt werden. Es ist nicht sinnvoll, dass eine Plattform ein automatisiertes Bewertungssystem nicht nutzen kann, weil einige der verfügbaren Inhalte möglicherweise auf anderen Plattformen schon von Jugendschutzbeauftragten bewertet worden sind, oder einzelne Inhalte auf der Plattform aus diesem Grund vom automatisierten Bewertungssystem ausnehmen muss.

Die Vorschrift über Inhaltsdeskriptoren, die das Alterskennzeichnen ergänzen, ist entsprechend der ursprünglichen Gesetzesbegründung zu einer „kann“-Vorschrift geworden, allerdings flankiert durch die Befugnis der obersten Landesjugendbehörden, Einzelheiten zur Ausgestaltung und Anbringung dieser Deskriptoren „anzuordnen“ – dieser Widerspruch wird auch durch die Begründung des Entwurfs nicht aufgelöst.

JMStV: Filter auf Betriebssystemebene und das Ende der Konvergenz

Der Entwurf der Länder [Volltext] hat den Vorsorgemaßnahmenkatalog aus § 24a JuSchG-E weitgehend abgeschrieben und in § 5 JMStV-E auch Elemente der neuen bundesrechtlichen Definition der Entwicklungsbeeinträchtigung, insbesondere im Hinblick auf Interaktionsrisiken, übernommen.

Inhaltliches Kernstück und Knalleffekt des Länderpapiers ist aber die Einführung einer Regulierung von Betriebssystemen – diese sollen jeden Nutzer künftig bis zum Beweis des Gegenteils als Minderjährigen betrachten, die Einstellung passender Altersstufen je Nutzerprofil ermöglichen, entsprechend ungeeignete Inhalte filtern und zusätzlich Schnittstellen vorsehen, über die technische Jugendschutzlösungen dritter Anbieter in anonymer Weise die jugendschutzrechtliche relevante Altersstufe des Nutzers abfragen können.

Als Gegenstück sollen zumindest „reichweitenstarke“ Anbieter auch verpflichtet sein, Altersstufenangaben der Betriebssysteme auszulesen und den Zugriff junger Nutzer auf ungeeignete Inhalte zu blockieren. Sonstige technische Mittel oder auch die Sendezeitbeschränkung sollen nach dem Wortlaut des Entwurfs nicht mehr ausreichend sein.

Das vorgeschlagene System wirkt im Detail noch reichlich undurchdacht, und wirft insbesondere auch Probleme der Gesetzgebungskompetenz auf: Dass die Länder überhaupt Vorschriften zu Betriebssystemen machen dürfen, ist keineswegs gesagt, und soweit der Bund mit dem JuSchG(-E) von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch macht, sperrt das auch etwa gleichlautende Vorschriften der Länder. Hier zeichnen sich weiter erhebliche Konflikte zwischen Bund und Ländern ab.

Im Sinne des erklärten Ziels der Konvergenz mutet schließlich auch die feine Aufspaltung der Pflichtenkataloge seltsam an: Je nach Status des Anbieters als Medienplattform, Telemedienanbieter oder Video-Sharing-Plattform finden sich unterschiedlichen Vorsorgepflichten mit unterschiedlichen Ausnahmen in unterschiedlichen Normen nebst Querverweisen – Übersichtlich wäre anders.

Fazit

Bund und Länder sind sich im Jugendmedienschutz weiter uneins. Der Bund hat an seinem Entwurf zwar einzelne Korrekturen vorgenommen, viele Kritikpunkte aber gar nicht angesprochen und das Bürokratielevel teilweise noch erhöht. Die Länder wagen sich mit ihren Vorschlägen auf praktisch wie verfassungsrechtlich besonders wackeliges Terrain und suchen ersichtlich die Konfrontation mit dem Bundesgesetzgeber. Der Sache erweisen beide Seiten damit einen Bärendienst.

 

Update (2. Juli 2020): Einen aktualisierten Entwurf hat das BMFSF zur Notifizierung an die Europäische Kommission übermittelt. Eine konsolidierte Fassung der geplanten Änderungen des Jugendschutzgesetzes finden Sie hier, wir haben Sie auch oben verlinkt.

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