Von wegen „Pornofilter“ – Gutachten fordert zukunftsfähiges Konzept für technischen Jugendmedienschutz

Latent fühlte man sich an vergangene Zensur-Debatten erinnert, als die einschlägigen Medien letzte Woche meldeten, dass Jugendschützer nun wieder „Pornofilter im Browser“ fordern. Informationsfreiheit ade? Künftig nur noch geblocktes Internet?

Ganz so einfach ist es natürlich nicht – denn gerade ein funktionierender technischer Jugendmedienschutz ermöglicht den verzicht auf Anachronismen wie Sendezeitbeschränkungen und leistet so einen Beitrag dazu, das Leben von Content-Anbietern wie Content-Nutzern leichter zu machen und dabei trotzdem Kinder und Jugendliche zu schützen. Wir erklären wie und warum:

Der rechtliche Hintergrund

Anbieter von Inhalten im Internet haben dafür Sorge zu tragen, dass Kinder und Jugendliche üblicherweise keine Angebote wahrnehmen können, von denen eine entwicklungsbeeinträchtigende Wirkung für ihre Altersstufe ausgehen kann. Dieser gesetzlichen Verpflichtung kann der Anbieter auf unterschiedliche Arten nachkommen – er hat hier insbesondere die Wahl zwischen einer zeitlichen Beschränkung der Verfügbarkeit, einer technischen Sperre (mit Registrierungs- Prüfungs- und Passwortpflicht), und der Kennzeichnung seines Angebots mit einer Altersfreigabe, die durch ein von der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) anerkanntes Jugendschutzprogramm ausgelesen werden kann.

Die (Praxis-)Tauglichkeit solcher technischen Jugendschutzmaßnahmen wird bisweilen kritisiert. So verwenden derzeit nur wenige Nutzer überhaupt Jugendschutzprogramme. Hinzu kommt, dass viele der aktuellen Filtermechanismen z.B. nur begrenzt auf Einzelinhalte innerhalb von Apps zugreifen können und daher – insbesondere vor dem Hintergrund des medialen Nutzungsverhaltens heutiger Jugendlicher – nicht unerhebliche Schutzlücken aufweisen.

Um die aktuellen Herausforderungen an den technischen Jugendschutz und die Forderungen an ein zukunftsfähiges Konzept aufzuzeigen, hat jugendschutz.net im Auftrag der KJM vergangene Woche ein Gutachten mit dem Titel „Perspektiven des technischen Jugendschutzes“ veröffentlicht.

Gutachten fordert handbares Gesamtmodell für technischen Jugendmedienschutz

Das Gutachten sieht aufgrund der veränderten Bedingungen bei der Internetnutzung neue Anforderungen an den technischen Jugendmedienschutz, die durch die derzeit bestehenden Teilsysteme nicht zufriedenstellend begegnet werden können. Insbesondere problematisiert werden Defizite dadurch, dass durch derzeitige Jugendschutzprogrammen Inhalte von Apps und Kommunikationsdiensten mangels bestehender Schnittstellen nicht gefiltert und bei verschlüsselten Angeboten zumeist nur komplette Domains gesperrt werden können.

Das Gutachten spricht sich daher für die Entwicklung eines Modells aus, welches die nebeneinander stehenden technischen Filtersysteme in ein handbares Gesamtmodell integriert. Wesentlich für dieses Modell sei einerseits die Einbeziehung von Browsern, da diese gerade „die zentrale Schnittstelle zu klassischen Websites, geräte- und betriebssystemübergreifend verfügbar und für die Filterung nutzbar“ seien und auch „vor der Verschlüsselung von Seitenaufrufen oder nach der Entschlüsselung der abgerufenen Inhalte filtern können“. Andererseits wird die Schaffung von Schnittstellen in Anwendungen befürwortet, durch die für eine jugendschutzrechtliche Beurteilung relevante Daten ausgelesen werden könnten; dabei sieht man das jeweilige Betriebssystem als die zentrale Stelle dafür an, eine anwendungsübergreifende Aktivierung von Jugendschutzoptionen zu implementieren.

Als wichtige Instrumente zur Weiterentwicklung des technischen Jugendschutzes sieht das Gutachten nicht zuletzt auch die Einrichtung eines Entwicklungsfond zur Förderung von wirksamen Schutzmechanismen sowie eine Positivkennzeichnung von Angeboten an, die sichere Schutzkonzeptionen entwickelt haben.

Keine Verschärfung bestehender Jugendschutzregelungen

Im Ergebnis spricht sich jugendschutz.net somit für die Umsetzung eines praxistauglichen Gesamtkonzeptes in der Zukunft aus. Es ist wichtig festzuhalten, dass damit keine Forderungen nach einer grundsätzlichen Verschärfung der bestehenden Jugendschutzvorschriften verbunden sind. Aufgezeigt wird lediglich die Notwendigkeit der Anpassung der Kriterien für die Eignungsprüfung von Jugendschutzprogrammen.

In der Vergangenheit hat sich die KJM mit der Anerkennung von Jugendschutzprogrammen aufgrund praktischer Wirksamkeitshürden extrem schwer getan, und erst fast 10 Jahre nach Inkrafttreten des JMStV, die ersten solchen Programme anerkannt. Ein ganzes Jahrzehnt lang stand Anbietern also die einfachste Methode der Einhaltung von Jugendschutzvorschriften im Netz gar nicht zur Verfügung. Wenn man sich diese unbefriedigende Situation vor Augen führt, stimmt der aktuelle Ansatz der KJM eigentlich hoffnungsvoll. Man möchte bestehende Wirksamkeitshindernisse des technischen Jugendschutzes immerhin lösen, anstelle das ganze Konzept des anerkannten Jugendschutzprogramms über Bord zu werfen.

Ein zentraler und auch in dem Gutachten wieder betonter Aspekt des Anforderungskataloges der KJM an Jugnedschutzprogramme ist dann auch die Nutzerautonomie von Filtersoftware. Dem anerkannten Jugendschutzprogramm ist also immanent dass jeder (erwachsene) Nutzer selbst darüber entscheiden kann, ob und wenn ja für welche Altersstufe der Filter aktiviert wird.

Vor dem Hintergrund, dass es sich bei dem Jugendschutz um ein Rechtsgut von Verfassungsrang handelt, muss die im Gutachten aufgezeigte Konzeption zur Steigerung der Effektivität des Jugendschutzes im Internet durch einen zeitgemäßen technischen Jugendschutz grundsätzlich begrüßt werden. Intelligenten nutzerautonomen Filtern gehört ohnehin die Zukunft. In der globalen Medienwelt haben weder Anbieter noch Nutzer Interesse an der Rückkehr zu Persochecks und Sendezeitbeschränkung.


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